Chronik

Auch Irrtümer und Missverständnisse nehmen mit dem Alter an Würde zu; was schon der Vater von seinen Großeltern gehört hat, kann so falsch nicht sein. Dass die Zeche „Unser Fritz“ ihren Namen zu Ehren eines ihrer Gründer, zu Ehren Friedrich Grillos, trage, ist ein so zählebiges Missverständnis. Zwar wurde Grillo wie die meisten Friedrichs seiner Zeit von denen, die ihm nahe standen, Fritz gerufen; und Ansehen besaß er auch genug, um einem seiner vielen Bergbau-Investments seinen Namen zu gestatten. Nur, dazu war die Zeit des Sieges über Frankreich und der Reichsgründung – alles Anno 1871 – viel zu patriotisch. Wer in diesem ruhmreichen Jahr preußisch-deutscher Geschichte eine Zeche gründete – suchte und fand einen Namensgeber von hohem und herrschendem Geblüt. Danach wurde das Bergwerk 1871 unter dem frischen Eindruck „der herrlichen Waffentaten von Kronprinz Friedrich Wilhelm“ im Deutsch-Französischen Krieg liebevoll „Unser Fritz“ genannt. Obwohl von Stand und Selbstverständnis nonkonformistisch, antimon-archistisch, ja anarchistisch, können mit dem Namen des Kaisers Friedrich ganz gut leben. Zudem stand Friedrich im Rufe, ein sehr kunstsinniger und gebildeter Mann zu sein.

Nach der Komplikation mit dem Namen ist der Rest der Unser-Fritz-Geschichte relativ problemlos. Schon um 1840 war es gelungen nachzuweisen, dass beiderseits der Emscher große Kohlevorräte nur darauf warteten, abgebaut zu werden. An diesem Punkt der Entwicklung kommt, siehe oben, Friedrich Grillo ins Spiel, den die Archivquellen schlicht als „Kaufmann“ bezeichnen. Grillo, in Wirklichkeit jedoch einer der neuen Tycoons im Ruhrgebiet der Gründerzeit, mit ihm der Bankier Ludwig von Born und ein bis dahin eher unbekannter Reicher, Wilhelm Hagedorn aus Essen, haben den finanziellen Background und die unternehmerische Erfahrung, ein Bergwerk zu gründen und zu bauen.

Sie gründeten es exakt am 18. September 1871 nach Zusammenlegung der Felder Liberia, Liberia I und Vereinigte Gregor, das seinerseits aus Gregor, Gregor I und Cyprian bestand, und nennen es „Unser Fritz“.

Bei 215,2 Meter erreichte nach etwa 16 Monaten Bauzeit am 15. März 1873 Schacht „Sophie“, der erste Schacht, das Steinkohlegebirge. Jedoch erst bei 271 Meter trafen die Mineure das erste wirklich abbauwürdige Flöz an. Die Förderung konnte beginnen und betrug im Jahre 1875 bei 530 Mann Belegschaft fast 100 000 Tonnen.

Im Jahre 1885, nach knapp vier Jahren Bauzeit, nahm Schacht zwei die Kohlenförderung auf. Das war zugleich die Geburtsstunde der Künstlerzeche „Unser Fritz“. Die Bergbehörde bestand auf der Anlage eines zweiten Schachtes. Die Schächte, die beide ein- und ausziehend funktionierten, konnten der durch stetigen Grubenausbau immer schwierigeren Wetterführung nicht mehr gerecht werden. Deshalb wurde im November 1897 gleich neben dem Schacht 2 mit dem Abteufen des dritten Schachtes begonnen. Der neue Schacht 3 wurde zunächst als ausziehender Wetterschacht genutzt, Schacht zwei als nur einziehender Schacht; 1907 dann ging die gesamte Förderung der Anlage 2/3 durch den neuen Schacht, und der alte wurde zur Bewetterung ausgerüstet. Die Verladung und die Separation der Kohlen von den Schächten beiderseits der Emscher wurden neu gebaut und neben dem Schacht 1 der vierte Schacht und ein Kesselhaus in Angriff genommen.

Inzwischen hatte sich das Umfeld von Zeche „Unser Fritz“ tiefgreifend verändert. Die Emscher, die bis dahin zwischen den Schächten 1/4 und 2/3 wie wohl schon seit Jahrhunderten oder länger ihren Lauf genommen hatte, war nach Norden umgeleitet worden und an ihre Stelle, quasi in ihr altes Bett wurde der Rhein-Herne-Kanal gelegt. „Unser Fritz“ bekam seinen eigenen Hafen mit Wende- und Liegeplatz für mehrere Kähne und eine Schienenverbindung zwischen dem Hafen und der Verladung auf Schacht 1/4. Von Schacht 2 und 3 ging die Kohle weiterhin über die Kettenbahn auf die andere Kanalseite.

Auf „Unser Fritz 1/4“ wurde zunächst Mitte 1925 die Kokerei dicht gemacht, im Dezember die ganze heutige Künstlerzeche, also die Betriebsabteilung 2/3, und Ende 1928 wurde die Förderung insgesamt eingestellt. Allerdings, als selbstständig geführtes Bergwerk gab es die inzwischen 65 Jahre alte Zeche nicht mehr; sie wurde der Schachtanlage „Consolidation 3/4/9“ zugeschlagen, und nur von dort aus wurde noch gefördert.

Ihr Hundertjähriges hat sie, wenn auch nicht mehr selbstständig, noch erlebt und bescheiden gefeiert. Als Künstlerzeche bleibt sie erhalten und hat, wie’s aussieht, noch viel vor sich.

Künstlerzeche also war „Unser Fritz 2/3“ auch nicht über Nacht und mit einem Male. Ab 1964 war Helmut Bettenhausen der Vorreiter einer Bewegung, die erst viel später unter dem Einfluss der IBA Emscherpark der neunziger Jahre vollends und ruhrgebietsweit akzeptiert wurde – einer Bewegung, die den Mut zu der Vision hatte, man könnte die baulichen Zeugnisse der Montanzeit als eine Industriekultur begreifen und besetzen, in der eine neue Kulturindustrie aufblüht. Sieben, acht Jahre lang blieb Bettenhausen mit seiner Idee allein. Ab 1972, holte er dann gleich gesinnte Künstlerkollegen als Nachfolger in den Pütt. Es kamen als erste Günter Dworak (†), Peter Grzan, Winfried Labus, Jörg und Jens Blome, Georg Fritz, HD Gölzenleuchter, Karsten Knierim, Rainer Henrichs, Wolfgang Kliszat, Angelika Voss, Wolfgang Konarkowski, Barbara Schulz-Labus, Werner Thiel, Hans Menne und Werner Köntopp.

Die Kunst bekam langsam, aber sicher Oberwasser auf dem ausrangierten Pütt, und die Verantwortlichen bei der Bergwerksleitung in Gelsenkirchen spielten mit, nahmen einen eher symbolischen Mietpreis und taten dafür immerhin das Nötigste zur Bauerhaltung. Wie es sich für eine Künstlergemeinschaft gehört, entwickelte auch die von „Unser Fritz“ eine nur in Maßen planbare Eigendynamik.

Wo Künstler arbeiten, sind offene Türen; Gäste, Sammler, Freunde, Kollegen anderer Sparten stellten sich ein. Vor allem Musiker entdeckten bald, dass Rock und Jazz und Zeche ideal miteinander harmonieren. Ausstellungen, Diskussionen, Konzerte, Lesungen verdichteten sich förmlich zu einem üppigen Veranstaltungsprogramm auf „Unser Fritz“. Kunstinteressierte mit einem Riecher für Neues und Tendenzen handelten die Künstlerzeche als Geheimtipp, bis er keiner mehr war, weil „man“ im mittleren Ruhrgebiet natürlich „Unser Fritz“ kannte.

Sehr früh entdeckte der Siedlungsverband Ruhr-Kohlenbezirk (SVR), der Vorgänger des KVR, die Zeche „Unser Fritz“ als einen Ort, mit dem man gut fürs schlecht angesehene Ruhrgebiet werben könnte.

Spätestens seit dem ersten Heringsessen im Jahre 1978, bei dem sich auch die Kommunalpolitik des neuen Herne zu ihr bekannte, vorneweg Oberbürgermeister Manfred Urbanski, zählte „Unser Fritz“ zu den unangreifbaren Kulturinstituten der Stadt und der Region. Das Problem war lediglich, wer bei ewig leerem Stadtsäckel die Zeche, das heißt, ihre fällige Sanierung bezahlen sollte.

Auch das Problem haben die Künstler mit Hilfe von Stadt und Land und von engagierten Bürgern, aber auch der Ruhrkohle AG geschafft. Die Zeche macht einen so properen Eindruck wie seit hundert Jahren nicht, die Künstlerinnen (die Männer sind nämlich nicht unter sich geblieben) und die Künstler schauen befreit drein. Die Sorgen sind Geschichte.

Die Künstlerzeche Unser Fritz 2/3 stellt sich vor

Die Künstlerzeche Unser Fritz 2/3 stellt sich vor

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